Was Tennessee-Williams-Inszenierungen im Theater Chemnitz anbelangt, bin ich ein gebranntes Kind. Vor gefühlt hundert Jahren, noch in der eigentlichen Spielstätte, wohnte ich einer Inszenierung des Süßen Vogels Jugend bei, in der fast jedes Wort geschrien wurde. Selbst, wenn ein Satz ruhig und vielleicht sogar etwas subtil begann, mündete er doch wieder in einem Crescendo des Schreiens. Das passte so gar nicht zur Inszenierung, die vor meinem inneren Auge entstanden war, als ich das Drama Seite für Seite verschlungen hatte und die Gefühle subtiler dargestellt fand.
Jahre später schaute ich mir, auch da noch in der alten Spielstätte, Camino Real an. Diese Inszenierung fand ich um Längen besser, aber sie holte mich noch immer nicht ab. Mein damaliger Eindruck findet sich hier.
Mit entsprechend gemischten Gefühlen ging ich gestern zur Katze auf dem heißen Blechdach in den Spinnbau, die Interims- aber wahrscheinlich dauerhafte – Spielstätte des Theaters. Und ließ mich positiv überraschen. Wobei, so überrascht war ich denn vielleicht doch nicht, denn Regie führte der Schauspieldirektor Carsten Knödler himself. Er hatte mich in der letzten Spielzeit schon mit seiner großartigen Inszenierung des Don Quijote überzeugt. Patrick Berg hatte eine Nebenrolle inne. Seit Sancho Pansa in Knödlers Inszenierung an Don Quijotes Seite ist er für mich der heimliche Star des Ensembles. Und Alida Bohnen, die schon die Antigone mit all ihren emotionalen Facetten – von schreiend bis flüsternd – treffend gemimt hatte, sollte Maggie darstellen. Eigentlich konnte es nur gutgehen.
Und das tat es im Großen und Ganzen auch. Clemens Kersten versuchte, einen Paul-Newman-Brick zu geben, was ihm ganz gut gelang, wenn er nicht gerade schrie. Geschrien wurde, aber nur so viel, dass es gerade so nicht nervte und noch überzeugend wirkte. Katka Kurze spielte Big Mama, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Realität, Liebe und Verletzung. Patrick Berg öffnete mir zum ersten Male die Augen für Gooper, den ungeliebten Sohn Big Daddys, seine Verletzung nur durch Mimik darstellend – ein Drama im Drama. Und die Tragende war Alida Bohnen in ihrer Rolle als Maggie, immer zur Stelle, wenn das Schreien zunahm, die Subtilität zu entgleiten drohte. Sie trug das Stück.
Ich stelle es mir sehr schwer vor, Marjariasana auf einem heißen Blechdach zu praktizieren. Beim Applaus am Ende des Stücks unterbrach ich mein Klatschen für einen Moment, um zwei Tränen unter meinen Augen wegzuwischen – das Pendant zu Standing Ovations für ein Drama.

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